Lieber Dirk, vielen Dank, dass du dich heute unseren Fragen stellst. Du arbeitest für viele prominente Publisher aber da du das oft im Hintergrund tust, kennen dich sicher noch nicht alle unserer Leser. Magst du dich mal in ein paar Sätzen vorstellen? Seit 12 Jahren entwickle ich mit und für Medien-, Handels- und Dienstleitungs-Unternehmen digitale Geschäftsmodelle als Gründer und Geschäftsführer der Brantalist Consulting. Dabei geht es meist um erfolgreiche offline Unternehmen oder Marken, die ihren Markenkern auch digital kapitalisieren wollen. Im Medienbereich zählen dazu u.a. Axel Springer, die FUNKE Medien Gruppe oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Schwerpunkt über die letzten 5 Jahre ist die Entwicklung mobiler Lösungen.

Dirk Barmscheidt – Brantalist Digital Consultant

2.  Generell befindet sich die deutsche Verlagslandschaft ja seit mindestens einem Jahrzehnt im Umbruch. Liegt das deiner Meinung nach nur an der Digitalisierung und der internetgetriebenen Veränderung des Nutzungsverhaltens oder spielen auch andere Faktoren eine Rolle?

Die Rolle von Zeitungen und Zeitschriften als Informationsquelle hat sich insbesondere seit den 90er Jahren verändert. Das aufkommende Privatfernsehen hat den Medienkonsum nachhaltig verändert. Das Internet hat diese Veränderung beschleunigt, nicht eingeleitet. Die Diskussion wird meiner Ansicht nach aber grundsätzlich falsch geführt. Quell der Veränderung ist nicht das Medium sondern die Entwicklung der Nachfrage. Daher werden Unternehmen erfolgreich sein, die die Bedürfnisbefriedigung der Zielgruppe ins Zentrum allen Handels stellen und nicht die Ignoranz oder Bekämpfung von aus Kundensicht besseren Lösungen wie dem Internet. 

3. Oft hören wir von Verlegern, dass man online kein Geld verdienen könne. Wie siehst du die Entwicklung der digitalen Geschäftsfelder? Kann Digital das Ertragsniveau von Print auch kurzfristig erreichen?

Die Print-Rendite bis Ende der 90er Jahre kann durch keinen anderen Kanal auf absehbare Zeit erzielt werden. Abnehmende, weil fragmentiertere Reichweiten und alternative Werbeplattformen haben sowohl die Vertriebs- als auch Adsales-Umsätze der Verlage schmaler werden lassen. Verlage haben sich bei der Digital-Strategie zu sehr nach anderen digitalen Erfolgsmodellen orientiert, kombiniert mit Fußfesseln aus der Print-Welt. Die immense Flut an möglichen Werbe-Kontakten und immer neuen Platzierungen/ Formaten hat zu einem Überangebot geführt, welches den Preis für den Werbekontakt hat sinken lassen. Auf der anderen Seite wurde und wird zu sehr auf den reinen Inhalt, den „Qualitäts-Journalismus“ gesetzt. Ein digitales Produkt muss man als „Content-Application“ verstehen, die neben dem Content vor allem technisch sowie von der Nutzung für den user relevant sein muss. Das Reichweitenstreben muss einer Qualitätsstrategie weichen und Content muss zur Application werden, dann werden signifikante Umsätze folgen.


4. Die Produktion von Content ist in Medienhäusern oft der entscheidende Kostenfaktor. Lassen sich deiner Meinung nach spürbare Synergien heben zwischen den Kanälen Print und Digital?

Das Internet hat die gesamte Arbeitswelt revolutioniert. Es bestehen keine Informationsasymmetrien mehr, jeder hat Zugriff auf alle Informationen, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Manche Redaktionen versuchen krampfhaft, diese Entwicklung zu ignorieren, anstatt sie sich zu Nutze zu machen. Die Organisation von Redaktionen kann man grob in drei Bereiche unterteilen: Themenauswahl, Einordnung und Produktion. Die Themenauswahl beeinflusst direkt die Relevanz für den user und sollte daher unter Nutzung aller Kanäle, insbesondere social media, entstehen. Einordnung kann nur in genau einer redaktionellen Ausrichtung, d.h. einem Team geschehen. Eine Unterscheidung zwischen Print- und Digital-Redaktionen lässt das Markenprofil verwischen und führt zu Austauschbarkeit. Im letzten Schritt, der Produktion – der Aufbereitung und Anordnung für das jeweilige Medium, unterscheiden sich dann Print- von Digital-Produktionen. Aber auch innerhalb der Digital-Produktion muss fein zwischen Desktop-, Mobile- und bspw. App unterschieden werden. Denn es geht um Content-Applications, nicht um den einzelnen Artikel. 


5. Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Säulen eines funktionierenden digitalen Geschäftsmodelles? Nur klassische Bannervermarktung kann nicht die Lösung sein. Oder?

Anfang der 2000er hat es Start-Ups gegeben, die sich rein auf Content-Syndication konzentriert haben. Als Redaktion konnte man damals seine Inhalte auf einer Art Marktplatz anbieten und damit eine weitere Erlösquelle erschließen. Technisch war das System leider noch zu kompliziert und damit aufwändig. Es ist dennoch richtig, in Skalierung zu denken und zu handeln. Es gilt auch heute noch die Faustformel, dass ein Artikel auf mindestens 4 unterschiedliche Weisen kapitalisiert werden muss, damit dieser Artikel profitabel wird. Demnach müssen sich auch Marken auf die Content Syndicaion neben den beiden anderen Säulen AdSales und Content-Application Sales rückbesinnen. Je nach Titel/ Marke sind die Säulen unterschiedlich stark. Es hängt vom eigenen Angebot, dem Wettbewerbsumfeld und den Kunden ab, wie sich das eigene Geschäftsmodell ausprägt. 


6. Da aber viele Publisher stark auf Werbebanner setzen, welchen Stellenwert gibst du dieser Erlösquelle? Und wie siehst du in dem Zusammenhang die Verbreitung von Adblockern?

Die vorhin schon angesprochene Flut an Werbeplatzierungen und deren meist agressives Werben um Aufmerksamkeit führte zu sinkenden Klick-Zahlen, immer mehr die führende Währung in den digitalen Medien. Da die sinkende Performance und damit die sinkenden Umsätze durch die Medien mit noch mehr Werbeflächen versucht wird zu kompensieren, greift der user zu Adblockern. Hierbei ging es nicht darum, dem Medium zu schaden, sondern die Website nutzbar zu machen. Der Kampf gegen Adblocker ist wie beim Kampf gegen das Internet (s.o.) der falsche Ansatz. Werbung darf den Erstnutzen einer Website nicht erschweren oder gar verhindern, sondern idealerweise fördern. Dann wird auch die Adblocker-Nutzung in einer kleinen Nische verschwinden.


7. Mittlerweile haben viele Publisher einen Trafficanteil auf mobilen Endgeräten von mehr als 60%. Vor welche Herausforderungen stellt das die Publisher? Und wie hilfst du Ihnen, diese zu überwinden?

Die mobile Nutzung folgt dem Grundsatz „Einfach immer überall“. Datenverbindungskosten sind keine Barriere mehr und (fast) alle Informationen, Transaktionen und Kommunikationen können über das Smartphone erledigt werden. Das Nutzungsverhalten Desktop vs. Smartphone ist grundsätzlich gleich, es ist das Hier und Jetzt entscheidend. Im Detail agiert der User auf dem Smartphone anders als am Desktop-Rechner. Informationen werden mit anderer, meist höherer Aufmerksamkeit aufgenommen, Navigationsverhalten sind sprunghafter und intuitiver. Mobile Content-Application müssen daher unabhängig von bestehenden Desktop-Produkten entwickelt werden und es muss genau analysiert werden, wie das Zusammenspiel aus App und Web-Variante konstruiert wird. In allen Fällen gilt: Je höher die Relevanz für den user, desto größer ist die individuelle Wertzurechnung.


8. Welchen Wert spielt die Medienmarke im heutigen Marktumfeld und unter Betrachtung des veränderten Mediennutzungsverhaltens? Ist der Nutzer nicht deutlich sprunghafter geworden und schwerer zu binden?

Jeder user ist durch seine Erfahrungen sowohl von offline als auch von online Marken geprägt, bzw. hat eine gewisse Vorstellung/ Assoziation zu denselben. Was letztendlich die Entscheidung für einen treuen user ausmacht, wird von Medienhaus und Endkunden/User unterschiedlich eingeschätzt. Der Verlag, die Redaktionen, sehen den sogenannten Qualitäts-Journalismus als entscheidenden Faktor. Aus User-Sicht ist die verfügbare Relevanz der entscheidende Faktor. Demnach wird zwischen verfügbaren Alternativen gewählt, die das individuelle Informationsbedürfnis am besten abdecken. Berichtet beispielsweise ein Wirtschaftsblatt nur selten über die digitale Wirtschaft, können die publizierten Artikel von noch so hoher journalistischer Güte sein, sie werden von keinem user gelesen, dessen Interesse sich um digitale Entwicklungen dreht. Es geht also mehr um Relevanz- als um Qualitäts-Journalismus. Dann klappt es auch mit der user-Bindung.


9. Gibt es neben dem contentnahen Geschäft weitere Geschäftsfelder, die du spannend findest? Einige Medienhäusern sind ja aktiv als Technologiedienstleister, veranstalten Konferenzen oder entwickeln Vergleichsportale.

Jede organisch zu dem Markenkern passende weitere line of revenues sichert die wirtschaftliche Zukunft des Unternehmens. Meist sind solche Nebengeschäftsfelder nur über eine Zeitspanne von bis zu 5 Jahren tragfähig, sollten aber in jedem Fall kurzfristig helfen, den Ausbau des Markenkerns zu finanzieren. Ob und wie man sich auf solche Nebengeschäfte stürzt sollte eng mit der vorhandenen Organisation und den Außenverhältnissen (Zulieferer, Kunde, Wettbewerb) abgestimmt sein. Ohne jegliche internen Vorkenntnisse oder Expertisen rechnet sich ein neues Geschäft selten. Es gilt auch hier der Grundsatz: Kann ich einmal Erschaffenes skalieren? 


10. Mal etwas weiter vorausgeschaut: Was glaubst du, wie lange die Unterscheidung der Medienhäuser in Verlage, TV Sender, reine Online Player und meinetwegen Radiosender noch Bestand hat. Wird das Internet nicht dafür sorgen, dass Anbieter von Content überall dabei sein müssen, von der Website über den Youtube Kanal bis zum Podcast?

Das Internet hat nicht ermöglicht, dass alle alles können oder müssen. Vielmehr haben Nischenanbieter die Möglichkeit über ihre meist geographische oder inhaltliche Limitierung hinaus ihren Markt zu finden. Eine Konzentration des Angebots auf einige wenige wird es in allen general interest Bereichen geben. Dazu kommen Spezialisten, die jeweils eine Branche beherrschen. Über welche Art der beste Draht zum Kunden aufgebaut werden kann, hängt nicht zuletzt vom Kunden selbst ab. Lesen und Schreiben sind Anwendungen, die an Bedeutung verlieren, da es einfachere Wege wie Videos oder Sprachnachrichten gibt. Mit Ihnen sind auch die immer weiter in den Vordergrund stehenden Emotionen einfacher zu transportieren. Print-Verlage müssen daher lernen, wie man diese Transportwege für sich erschließt. Eine reine Kopie von bestehenden TV-Formaten wird ebenso ins Leere führen wie die Nichtbeachtung der eigenen Markenstärke.


Lieber Dirk, vielen Dank für das Gespräch!