Lieber Herr Schulz, viele unserer Leser kennen Sie als Kanzlerkandidaten, SPD Chef und Präsidenten des Europäischen Parlamentes. Aber Sie haben ja auch mal eine Zeitschrift herausgegeben. Haben Sie das damals auch als ein Business begriffen oder war die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte mehr ein politisches Sprachrohr für Sie?

Nein, ich habe es nicht als Business begriffen. Der Vorsitzende der SPD ist Kraft Amt Herausgeber der Neuen Gesellschaft / Frankfurter Hefte. Ich habe die Frankfurter Hefte eher als eine Plattform der Debatte in unserer Partei empfunden.

2) Unsere Branche befindet sich nach dem Gefühl vieler mitten in einem Wirbelsturm. Die Digitalisierung und das veränderte Konsumverhalten brechen herkömmliche Geschäftsmodelle und der Innovationsdruck steigt bis ins Schmerzhafte. Wie nehmen Sie das wahr? In welche Richtung hat sich für Sie die Zusammenarbeit mit den Medien geändert?

Der Druck auf Medienunternehmen ist sichtbar gestiegen. Was ich über die letzten Jahre beobachten konnte ist, dass dieser Druck nicht selten auf die Journalistinnen und Journalisten weitergegeben wurde, was teilweise auch Auswirkungen auf die Qualität haben kann. Das ist aber auch klar: Wenn niemand mehr für Qualität zahlen möchte, dann wird es perspektivisch weniger Qualität geben. Ich denke aber, dass wir jetzt einen Ausschlag in die eine Richtung erleben. Perspektivisch denke ich, dass sich Qualitätsjournalismus durchsetzen wird.

3) Eigentlich könnten Sie doch ganz entspannt sein. Über Twitter, Facebook etc. erreichen Sie die Wähler direkt. Die klassischen Medien brauchen Sie doch gar nicht mehr. Richtig? Es gibt ja einen Präsidenten, der das scheinbar ganz erfolgreich praktiziert…

Twitter und Facebook sind Instrumente für verkürzte Botschaften. In der Komplexität unserer Welt reicht es aber häufig nicht, nur mit verkürzten Botschaften zu operieren. Für verantwortungsvolle Politik und eine vertiefte Kommunikation braucht man auch Analyse, Hintergrundinformationen und Einordnungen in größere Zusammenhänge. Dazu braucht man den „traditionellen“ Qualitätsjournalismus. Von der Einordnung, den größeren Zusammenhängen und der Analyse hat allerdings der genannte Präsident nicht nur keine Ahnung, sondern daran hat er auch kein Interesse.

4) Insgesamt scheint es so, als würden die Parteien der äußeren Ränder Social Media intensiv und auch erfolgreich nutzen. Die etablieren Parteien bewegen sich aber immer noch auf Anfängerniveau. Wird das Potential nicht erkannt oder fehlt da schlicht Interesse und Kompetenz?

Leider hinken die meisten Parteien in Deutschland hier hinterher. Interessant ist: Schon in den 20er und 30er Jahren war die extreme Rechte besonders gut darin moderne Massenkommunikationsinstrumente für Ihre Botschaften zu nutzen. Die extreme Rechte arbeitet mit verkürzten und radikalen Botschaften. Das transportiert sich im Netz besonders gut. Demokratische Parteien müssen deshalb nicht nur an ihren Strategien für soziale Medien arbeiten. Sie müssen auch den Mut aufbringen ihre Botschaften zugespitzt und damit auch leichter verständlich zu transportieren.

5) Junge Leute kommunizieren untereinander über die sozialen Medien und sind (fast nur noch) dort für Botschaften Dritter erreichbar. Was bedeutet es für unsere Gesellschaft, dass Europäische Medienunternehmen hier schwach aufgestellt sind?

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es neue Kommunikationsformen unter den jungen Leuten gibt. Wenn es den Medienunternehmen nicht gelingt in diesen Markt als Unternehmen vorzudringen, dann fehlt die Verbindung zwischen der „traditionellen“ Art des Journalismus und den neuen Kanälen. Ich glaube aber, dass innovative Medienunternehmen auch in diesen Bereich vordringen können und man diese Bereiche verknüpfen kann.

6) Ihr Kollege Robert Habeck hat sich ja komplett aus den sozialen Medien verabschiedet. Käme das für Sie unter Umständen auch infrage?

Auf keinen Fall. Für Politiker ist die unmittelbare Interaktion in den Sozialen Medien extrem wichtig. Deshalb: Auch wenn man mal danebengehauen hat oder es auch mal unangenehm war, kann es kein Grund sein, sich völlig zurückzuziehen.

7) Die Macher der Publisher Business Conference treibt unter anderem der Gedanke um, dass Medienunternehmen wirtschaftlich stark sein müssen, um Ihre Verantwortung als 4. Gewalt im Staat wahrnehmen zu können. Teilen Sie diese Einschätzung?

Eindeutig. Ohne freien und unabhängigen Journalismus kann die Demokratie nicht funktionieren. Deshalb brauchen wir starke Medienunternehmen.

8) Wenn wir die aktuelle Entwicklung weiterdenken, ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass künftig aus dem einen oder anderen Verlagshaus der Ruf nach Unterstützung laut wird. Sollten Medienunternehmen unter Umständen aus Steuermitteln subventioniert werden?

Eine extrem schwierige Frage. Ich möchte sie anders beantworten: Was Politik für Medienunternehmen schaffen muss ist Wettbewerbsgleichheit. Die großen Plattformen gefährden die Medienunternehmer stärker als jeder andere Akteur. Dass diese im Gegensatz zu den Medienunternehmern keine Steuern bezahlen müssen und nicht den Auflagen unterworfen sind, denen Medienunternehmer unterworfen sind, ist unfair. Diese Wettbewerbsverzerrung durch eine Digitalsteuer entgegenzuwirken und auchdie Datenverwendung durch die Plattformen stärker zu reglementieren und kontrollieren wäre eine effektive Stärkung der Medienunternehmen.

9) Flexibilität in allen Bereichen ist für eine Branche im Umbruch sehr wichtig. Gerade haben die Richter am EuGH festgelegt, Arbeitgeber müssten die Arbeitszeiten ihrer Angestellten komplett und umfassend erfassen. Wie ist Ihre Einschätzung? Müsste man nicht gesetzliche Regelungen schaffen, die einerseits Überstundenwahnsinn verhindern andererseits aber in Bezug auf Eigenverantwortung und Kontrolle von Arbeitnehmern nicht ins letzte Jahrhundert zurückfallen?

In unserem Land und ich hoffe bald auch in Europa, ist die Waffengleichheit von Kapital und Arbeit eine Frage der Tarifautonomie. Und deshalb glaube ich, dass die Lösung des Problems nicht primär durch den Gesetzgeber zu erfolgen hat, sondern zunächst auch dadurch, dass sich Medienunternehmen und Mediengewerkschaften auf einen fairen Deal einigen.

10) Google und Facebook saugen die Werbebudgets aus dem Markt ab, Netflix und Amazon greifen die TV Sender frontal an. Europäische Medienunternehmen gehen deshalb in die Knie. Die Amerikaner dominieren den Markt, europäische Publisher verfügen nur noch über geringe Reichweiten. Ist das Ihrer Meinung nach ein akutes Problem, ein Problem, welches auf uns zukommt, oder eher ein unwahrscheinliches Schreckensszenario?

Es ist ein akutes Problem und kein unwahrscheinliches Schreckensszenario, sondern die Entwicklung, das haben die vorherigen Fragen gezeigt, ist im vollen Gange. Deshalb glaube ich, dass europäische Medienunternehmer gerade im europäischen Rahmen Schutz brauchen. Und, das habe ich in der vorherigen Frage auch schon beantwortet, dass europäische Medienunternehmer Auflagen erfüllen müssen und Steuern zahlen, während internationale Plattformen in Europa weder Steuern zahlen noch Auflagen akzeptieren müssen. Das müssen wir ändern.
Vor allen Dingen, ist es ein nicht haltbarer Zustand, dass Plattformen nicht unter öffentliche Mitwirkung gestellt werden, obwohl sie durch die enormen Datenmengen, die sie sammeln, eine herausragende gesellschaftliche und politische Relevanz erwerben. Jeder Privatsender in Deutschland, jeder Radiosender und erst recht die Öffentlich-Rechtlichen haben eine partizipatorische Mitwirkung in der Gesellschaft, durch Fernseh- und Rundfunkräte. Dass Plattformen auf Dauer einer solchen demokratischen Mitwirkung unterworfen werden müssen, halte ich für unabdingbar.